Die Situation der Deutschen unter der Zweiten Republik Polens wurde schon mehrfach analysiert. In ihrer 2007 an der Universität Oldenburg vorgelegten Dissertation untersucht Beata Lakeberg die Beziehungen der Deutschen zur Mehrheit der Bevölkerung (den Polen) und zur zweitgrößten Minderheit (den Juden). Die Presse der deutschen Minderheit erweist sich dabei als geeignete Quelle, um die Meinungen der Deutschen zu veranschaulichen. Lakebergs Analyse stützt sich auf die in der Minderheitenpresse verwendeten Stereotype. Die klar dargestellte methodische Grundlage (S. 20-30) wirkt überzeugend, insbesondere der Ansatz, die Konstituierung einer einheitlichen Gruppe mit der Verwendung zweier Arten von Stereotypen zu zeigen: „Einmal sind das Stereotype, die eine Gruppe über die ›Anderen‹ hat - die so genannten Heterostereotype − und zum anderen die Stereotype, die eine Gruppe über sich selbst hat − die Autostereotype“ (S. 24). Die Begriffe werden klar definiert und die Fragestellung und Erkenntnisziele der Arbeit sind vielversprechend. Als Primärliteratur dienen 26 Zeitungen aus verschiedenen Regionen Polens, die ungeschickterweise erst ab Seite 153 (bis S. 163) näher beschrieben werden. Dennoch geben diese zehn Seiten dem Leser einen umfangreichen Einblick in die verschiedenen Zeitungen und liefern viele Informationen in Bezug auf Erscheinungsort, Auflage, Namen der Redakteure oder der Besitzer. Die klare Schilderung der politischen und religiösen Orientierungen der Zeitungen ermöglicht eine Einordnung dieser Titel in die vielfältige Medienlandschaft Polens (187 deutsche Zeitungen und Zeitschriften erschienen 1918 in Polen). Zu bemängeln sind die unpräzisen Kriterien, nach welchen die untersuchten Artikel ausgewählt wurden. Auch wenn die meisten Zeitungen als Mikrofilm verfügbar sind, stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise die 26 Zeitungen in einem Zeitraum von 21 Jahren analysiert wurden. Wurden nur die Leitartikel in Betracht gezogen oder wurden gezielt einzelne Schlüsselwörter recherchiert?
Nach einem recht informativen Überblick über die Geschichte der deutschen Minderheit in der Zweiten Republik Polens betrachtet die Autorin das Verhältnis zwischen dem Erscheinungsort der Zeitungen und den präsentierten Bildern. Auch wenn der Erscheinungsort im ersten Moment keinen großen Einfluss auf den Inhalt der Presse zu haben scheint, erweist er sich dennoch als sinnvolles Kriterium angesichts der im Buch genannten Beispiele: der „preußische Militarismus“, der „russische Polizeiapparat“ und die „österreichische Verwaltung“ sind Stereotype, die nicht überall in Polen zur Verwendung kommen konnten. Aufgrund der Verwendung von gleichen Stereotypen kommt die Autorin zu dem überzeugenden Schluss: „Von den drei Teilungsgebieten hatten nur die Deutschen aus Lodz/Łódź die Möglichkeit, sich durch Erfahrungen ein Bild von der russischen Polizei oder den Gefängnissen zu machen, bei den Deutschen in anderen Teilungsgebieten war die Darstellung der russischen Polizei und Gefängnisse ein Zeichen für das in dieser Gesellschaft herrschende negative Russlandbild“ (S. 81-82). Die bekannten Stereotype „Nationalismus“, „Chauvinismus“, „polnische Wirtschaft“ und „Saisonstaat“ werden in diesem Kapitel behandelt. In den verschiedenen Erscheinungsgebieten der Zeitungen lassen sich tatsächlich gewisse Unterschiede feststellen: „In der Lodzer Presse widersprach man dem Bild der Polen als Nationalisten, indem man zeigte, dass es auch Polen gab, die eine antideutsche Stimmung nicht befürworteten“ (S. 105). Die Untersuchung zeigt, dass die Lodzer Presse einen besonderen Platz in der Minderheitenpresse einnimmt, der unter anderem auf die geografische Lage zurückzuführen ist. Im folgenden Teil wird der Einfluss der deutschen Weltanschauung auf die in der Minderheitenpresse verwendeten Polen- und Judenbilder thematisiert. Auch bei dieser Betrachtung zeigt sich eine differenzierte Verwendung der Stereotype. Die sozialistischen Zeitungen verurteilen den Nationalismus bzw. den Antisemitismus aus Prinzip, ungeachtet ihrer Entstehungsorte (Deutschland oder Polen). Das Verhältnis zu den Juden ist ein gutes Beispiel dafür: Während kapitalistische Juden mit aller Schärfe kritisiert werden, sympathisieren die Zeitungen mit jüdischen Proletariern. Bei den konservativ gesinnten Zeitungen lässt sich eine solche Differenzierung nicht beobachten; eine Tendenz zum Antisemitismus wird mit der Zeit immer deutlicher. Die Analyse einer Werbung für Speisefett mit klaren jüdischen Bezügen („die jüdischen Hausfrauen sprichwörtlich gute Köchinnen“, hebräische Schrift) zeigt, dass die Schlesische Zeitung im Jahre 1934 noch Juden unter ihren Lesern hatte. Drei Jahre später wird für dasselbe Produkt ohne Hinweis auf das Judentum geworben (Abbildungen S. 190). Die Vielzahl der Zeitungen und ihre unterschiedlichen Erscheinungsgebiete erschweren zeitweise die Orientierung des Lesers, dafür bietet das Buch eine umfangreiche und detaillierte Untersuchung der Minderheitenpresse. Im letzten Teil führen die Untersuchungen zu weniger aufschlussreichen Ergebnissen: Die Entwicklung des Polen- und Judenbildes in der deutschen Minderheitenpresse in den 1920er und 1930er Jahren ist vom Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland stark geprägt und der immer größer werdende Antisemitismus in fast allen Zeitungen überrascht kaum. Außerdem kommt es nach der Analyse je nach Erscheinungsgebiet und politischer Ausrichtung zu Wiederholungen von Zitaten und Beispielen (S. 104 und 162, S. 188 und 272) und sogar von einem ganzen Absatz (S. 130 und 272). Trotz aller Kritik lässt sich aus der Untersuchung ein umfassender Einblick in das Leben der deutschen Minderheit in Polen in der Zweiten Republik gewinnen. Die Zeitungsanalyse gibt Aufschluss über die Beziehungen der Deutschen zu den zwei anderen großen Bevölkerungsgruppen in Polen, den Polen und den Juden. Außerdem erhält man aus der Gegenüberstellung der Auto- und Heterostereotype einen Eindruck vom Selbstbild jener Deutschen, die sich 1918 in ihrer neuen Rolle als nationale Minderheit in Polen diskriminiert fühlten. Das Selbstbild der Deutschen als Opfer führt abschließend zu einem Vergleich der Punktesammlung beim Eurovision-Songcontest mit der Diskussion zu Themen wie „Flucht und Vertreibung“ und „Bombenkrieg“, ein Vergleich, der an dieser Stelle unangebracht scheint. Diese durchaus niveauvolle Analyse der deutschen Minderheitenpresse in Polen hätte zweifellos eine anspruchsvollere Schlussbetrachtung verdient.