1. Ausstellungen und Kunstgeschichte
Kunstausstellungen können als raumzeitliche Gefüge verstanden werden, in denen ausgewählte Kunstobjekte in jeweils einzigartigen Konstellationen vorübergehend auf ein Publikum treffen. Vor allem seit den 1990er Jahren ist für dieses temporäre Veröffentlichungsformat ein wachsendes kunsthistorisches Interesse zu verzeichnen. An den Schnittstellen zwischen Kunstgeschichte, Museologie und Kuratorischer Forschung hat sich die Ausstellungsgeschichte zu einem eigenen kunsthistorischen Zweig entwickelt.1 Ausgehend von der ephemeren Begegnung von Kunst und Publikum fördert dieser Bereich vor allem unser Wissen über die kontextuellen Bedingungen von Kunstwerken, Bewegungen und Künstler*innen und beleuchtet deren soziale, politische und kommerzielle Verflochtenheit. Doch die Funktionen der Kunstausstellung reichen über eine öffentliche Präsentation von Kunst hinaus.2 Mein Beitrag baut auf neueren Überlegungen auf, die sich dem Verhältnis von Kunstausstellungen und Kunstgeschichte widmen. Im Fokus steht die Frage, welche Möglichkeiten Ausstellungen bieten, in die Produktion von Kunstgeschichte einzugreifen. In dem 1982 erschienenen Artikel Modell documenta oder wie wird Kunstgeschichte gemacht vertrat der Kunsthistoriker Walter Grasskamp hierzu die Auffassung, dass die groß angelegte periodische Übersichtsschau zeitgenössischer Kunst, die documenta, „schon im Vorgriff das Geschäft der Kunstgeschichte [besorgt], [...] indem sie ihr die Mühen der Auswahl abnimmt“.3 Während Grasskamp die historiografischen Auswirkungen des kuratorischen Akts der Auswahl betonte, verortete Bruce Altshuler drei Jahrzehnte später das historiografische Potenzial der Ausstellung in ihrer sozialen Dimension und stellte fest, dass „Ausstellungen eine Reihe von Charakteren zusammenbringen, die mit unterschiedlichen Absichten und unter verschiedenen Umständen so viel von dem hervorbringen, was uns als Kunstgeschichte überliefert wird.“4 Zuletzt haben Anthony Gardner und Charles Green Biennalen, Triennalen und die documenta als Instanzen charakterisiert, die die zeitgenössische Kunst ‚geschaffen haben‘, und dabei die kommerziellen und diskursiven Verbindungen zwischen der weltweiten Verbreitung von Biennalen und dem aufkommenden Begriff der Global Contemporary Art hervorgehoben.5 Die Beobachtungen von Grasskamp, Althsuler, Gardner und Green bezogen sich insgesamt auf publikumswirksame Großausstellungen, die ein kunsthistorisches Entwicklungsschema, die Aufeinanderfolge von Moderne, Konzeptualismus und Globalismus, voraussetzten und zugleich bekräftigten. Doch auch in Abgrenzung von einer universalistischen Prämisse kunsthistorischer Progressivität ist im Ausstellungsformat Kunstgeschichte gemacht worden.
Während eines Forschungsaufenthalts in Rom habe ich begonnen, mich mit einer Reihe vernachlässigter Kunstausstellungen zu befassen.6 Diese wurden in den 1970er Jahren im Kontext des sogenannten Feminismus ‚der zweiten Welle‘ in der italienischen Hauptstadt organisiert. Solche Ausstellungsinitiativen haben ebenfalls, wie ich vorschlagen möchte, Kunstgeschichte gemacht, jedoch gerade nicht im Sinne einer Bestärkung von linearen Schemata. Vielmehr bestand ihr Einsatz darin, die vermeintliche Neutralität progressivistischer Vorstellungen als wirkmächtige Konstruktion zu hinterfragen. Für viele Künstlerinnen und Kulturschaffende jener Jahre erforderte die historische Marginalisierung von weiblich markierten Positionen nämlich eine radikale Infragestellung der Prämissen der Geschichtsschreibung. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Tätigkeiten einer Frauenkooperative, der Cooperativa di Via Beato Angelico,7 die von 1976 bis 1978 in Rom agierte und Künstlerinnen aus der Vergangenheit und der Gegenwart neu zueinander in Bezug und ins Licht setzte.8
2. Rom, ca. 1970: feministische Initiativen im Kunstfeld
In Italien erstarkten feministische Initiativen im Laufe der 1960er Jahre, als sich radikale Fraktionen von der Studierendenbewegung und den kommunistischen und christlich-demokratischen Organisationen (UDI, Unione donne italiane, und CIF, Centro italiano femminile)9 abspalteten. Auch wenn sich im Kunstfeld keine kohärente Bewegung ausbildete, trugen zahlreiche Künstlerinnen dazu bei, den Feminismus auf grundlegende Weise neu zu erfinden und zu fördern.10 Reibungspotenzial boten nicht nur überwiegend konservative Institutionen und Akteure, sondern auch die politisch progressive Kunstszene. Konstituiert durch männlich dominierte Gruppen, die sich gegenseitig ablösten – Arte povera folgte auf Pop und Informel – hielt diese kompetitive Arena beharrlich an den Kategorien des kreativen Genies und des Meisterwerks fest. Beispielsweise etablierte der Kritiker und Kurator Germano Celant 1967 die militaristische Symbolik der Guerilla für ‚seine‘ Künstler der Arte povera; langfristig erhielten sich die suggestiven Rollenbilder des Alchemisten, des Außenseiters oder des Schamanen.11 Neben der männlichen Überzahl erwiesen sich auch die Strukturen und Diskurse, die den kunsthistorischen Kanon begründeten, als unausgewogen. Um es mit Foucaults Worten auszudrücken, war das ‚historische Apriori‘ der zeitgenössischen Kunst asymmetrisch: „Realitätsbedingungen für Aussagen“ (und Handlungen) variierten drastisch je nach geschlechtlicher Zuschreibung.12 Die Position von Künstlerinnen im Kunstfeld und in der Kunstgeschichte wurde heftig debattiert. Während die Kunstkritikerin Lea Vergine und die Galeristin Romana Loda eine Revision des kunsthistorischen Kanons einforderten, führte die Künstlerin Simone Weller die Vorstellung einer geschlechtsneutralen Professionalisierung ins Feld. Die Kritikerin Anne Marie Sauzeau Boetti drängte hingegen darauf, Ausdrucksformen eines ‚weiblichen Symbolismus‘ in der Kunstproduktion zu identifizieren und zu unterstützen.13
Mit dem Aufkommen von Künstlerinnenausstellungen nahmen diese verschiedenen Ansätze auch in der Praxis Form an. Die von Loda kuratierten Künstlerinnenausstellungen Coazione a mostrare,14 1974, die verschiedenen Ausgaben von Magma, 1975, 1976, 1977, Altra misura,15 1976, und Il volto sinistro dell’arte, 1978 transportierten paritätische Forderungen.16 Ebenfalls im Sinne einer Gleichberechtigung konzentrierte sich Vergine für ihre Ausstellung L’altra metà dell’avanguardia,17 die 1980 in Mailand eröffnet und anschließend in Rom und Helsinki gezeigt wurde, auf Arbeiten von Künstlerinnen der historischen Avantgardebewegungen. Ausgehend von ihrem Buch Il complesso di Michelangelo. Ricerca sul contributo dato dalla donna all’arte italiana del Novecento,18 das Interviews und 270 Namen von in Italien tätigen Künstlerinnen versammelte, organisierte Weller 1977 in Rom eine Übersichtsausstellung über weiblich markiertes künstlerisches Schaffen.19 Ein Jahr später verantwortete die Künstlerin Mirella Bentivoglio aus Anlass der Venedig-Biennale von 1978 eine Präsentation visueller Poesie. Unter dem Titel Materializzazione del linguaggio,20 also der Vorstellung einer verkörperten Sprache, wurden Praktiken von 80 Künstlerinnen auf ihre ästhetische Spezifität geprüft. Zwar würde jede einzelne dieser Ausstellungen eine eingehende Untersuchung erfordern, ihr übergeordnetes Ziel bestand jedoch darin, Sichtbarkeit und/oder institutionellen Zugang für Künstlerinnen zu schaffen. Insgesamt betonten die Initiativen die professionelle Qualität der Exponate, ihren gleichwertigen oder eigenwilligen Beitrag zu bereits bestehenden Kapiteln, Bewegungen und Erzählungen der Kunstgeschichte, die dabei jeweils unhinterfragt blieben.
Die 1976 gegründete und bis 1978 aktive Cooperativa di Via del Beato Angelico stand im Gegensatz zu einem solchen gemäßigten Revisionismus. Ihre Ausrichtung orientierte sich vielmehr an den Leitprinzipien des separatistischen Feminismus: Während die Gegenwart als transformativer Möglichkeitsraum aufgefasst wurde, wollte die Vergangenheit ausdrücklich von der Position der Frauen aus neu gedacht werden.21 Grundlage des separatistischen Denkens war eine vehemente Ablehnung der formalen Gleichstellung der damals binär gedachten Geschlechter.22 Das Konzept der Gleichberechtigung, wie es sich in der Geschichte herausgebildet hatte, wurde als Versuch gesehen, Frauen zwangsweise mit Männern gleichzustellen. Frauen sollten zu Bürgerinnen werden, indem sie sich der männlichen politischen Ordnung anpassten, die somit neutral und unbestritten bleiben würde. Aus dieser Kritik entwickelte sich eine separatistische Haltung, die einen existenzialistischen Befreiungsanspruch gegenüber einem aktivistischen Emanzipationsanspruch in den Vordergrund stellte. In geschlossenen Zirkeln, durch Praktiken der autocoscienza – der Bewusstseinsbildung – und des unabhängigen Publizierens verfolgten Separatistinnen eine von der männlichen Norm unabhängige weibliche Subjektivierung. Diese sollte die Grundlage für eine Umgestaltung der Gesellschaft bilden. Unter dem Motto ‚bei sich selbst anfangen‘ wurden vorherrschende Vorstellungen von der Vergangenheit als homogener oder objektivierbarer Grundlage verworfen.
Am einflussreichsten im italienischen Kontext war in diesem Zusammenhang das Kollektiv Rivolta femminile (Weibliche Revolte), das 1970 von der renommierten Kunstkritikerin Carla Lonzi und der Künstlerin Carla Accardi zusammen mit der Journalistin Elvira Banotti gegründet wurde und woran sich auch weitere Künstlerinnen beteiligten. Als Lonzi sich von ihrem Beruf als Kunstkritikerin zurückzog und die Kunst als eine patriarchal geprägte Sphäre ablehnte, um sich ganz dem Feminismus zu widmen, verließen einige der Künstlerinnen, allen voran Accardi selbst, Rivolta femminile und gründeten die Cooperativa di Via Beato Angelico. Dennoch sollte der separatistische Feminismus die Art und Weise bestimmen, wie die Kooperative das Verhältnis der Künstlerinnen zur Kunstgeschichte anging.
3. Gegen eine progressivistische Kunstgeschichte
Die Genossenschaft bestand aus elf Mitgliedern – acht Künstlerinnen und drei Kunstkritikerinnen –, die in Rom, Mailand und Turin tätig waren: Carla Accardi, Nilde Carabba, Franca Chiabra, Anna Maria Colucci, Regina Della Noce, Nedda Guidi, Eva Menzio, Teresa Montemaggiori, Stephanie Oursler, Suzanne Santoro und Silvia Truppi.23 Zusammen bildeten sie die erste Künstlerinnenkooperative in Rom und Italien, die einen eigenen Ausstellungsraum betrieb. Auf einer selbstentworfenen Postkarte fassten die elf Mitglieder Anfang 1976 ihre Ziele zusammen und gaben damit einen programmatischen Rahmen vor. Der Briefkopf beinhaltete ihre in demonstrativen Kleinbuchstaben, in alphabetischer Reihenfolge und ohne Zwischenräume aneinandergereihten Namen. Unter Verzicht auf militanten Jargon lautete ihre Erklärung (fig. 1):
Die Kooperative wurde mit dem Ziel gegründet, Werke von Künstlerinnen zu präsentieren, die im Bereich der bildenden Kunst arbeiten oder gearbeitet haben. Neben dieser Tätigkeit beabsichtigt die Genossenschaft, diese Arbeiten zu erforschen, zu sammeln und zu dokumentieren, und ist daher allen dankbar, die in dieser Hinsicht durch die Bereitstellung von Materialien, Büchern und Fotografien helfen möchten.“24
Das Archivierungs- und Ausstellungsprogramm strebte damit weder eine Systematik an, noch bestimmte es explizite Auswahlkriterien für die Kunst von Frauen. Im ersten Fall hätten sich die Mitglieder auf ein unbefriedigendes revisionistisches Unterfangen eingelassen; im zweiten Fall hätten sie bestimmte Ästhetiken als inhärent ‚weiblich‘ festgeschrieben. Das Anliegen der Künstlerinnenförderung manifestierte sich also in einem unregelmäßigen Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Jahrhunderten, Generationen und Positionen sowie in der Aufforderung zu einer spontanen, kollektiven Zusammenstellung von Archivmaterial abseits kanonischer Zuordnungen.25 Nach der Eröffnungsausstellung mit einem Werk von Artemisia Gentileschi widmete sich die Kooperative ihren Mitgliedern Suzanne Santoro (April 1976) und Carla Accardi (Mai 1976). Daraufhin wurden erneut Einzelausstellungen von Künstlerinnen der Vergangenheit organisiert. Auf eine Retrospektive der 1974 verstorbenen Futuristin Regina Bracchi folgte eine Ausstellung mit Werken der Bologneser Malerin Elisabetta Sirani aus dem 17. Jahrhundert. Anschließend stellten die Mitglieder Silvia Truppi (Januar 1977), Nedda Guidi (April 1977), Anna Maria Colucci (Mai 1977) und erneut Suzanne Santoro, dieses Mal gemeinsam mit Marisa Busanel (Januar 1978), aktuelle Arbeiten aus.26
Gleichzeitig setzten männliche Kollegen ebenfalls die Formate der temporären Ausstellung und des Archivs ein, jedoch führten sie darin ein progressivistisches Narrativ avantgardistischer Triumphe fort. Die Auswahl, Ausstellung und Bewahrung der Kunst der Gegenwart hatte sich in Italien zunehmend von den Nationalmuseen für moderne Kunst auf einzelne Akteure, meist Kunstkritiker und Kuratoren, verlagert. Bereits 1970 gründete Germano Celant in Genua sein Information and Documentation Archives (IDA), das auf „Theorie, Information und Organisation“ spezialisiert war und neben dem Sammeln und Bewahren auch Dienstleistungen für Publikationen und Ausstellungen anbot.27 Ein Jahr später initiierte der Kritiker und Kurator Achille Bonito Oliva ein ähnlich ausgerichtetes Centro di informazione alternativa unter der Leitung von Bruno Corà für den Privatverein Incontri Internazionali d’Arte in Rom.28 An das neue Berufsbild des Kritiker-Kurators gebunden, bestimmten diese Ausstellungs- und Archivbetriebe den kunsthistorischen Kanon der Gegenwart – Arte povera, Land Art, Konzeptkunst, Radikale Architektur, Gegenkultur – und zementierten damit eine lang anhaltende Beziehung zwischen den Neo-Avantgarden und marxistisch informierten Protestkulturen, die jeweils eigene Archivbestände bildeten. Unter den rund achtzig zeitgenössischen Kunstschaffenden, die als denkwürdig eingestuft wurden, figurierten in Celants Archiv 1971 bezeichnenderweise nur zwei Künstlerinnen, Simone Forti und Hanne Darboven. Anders als Celant und Bonito Oliva konzentrierte sich das Archivierungs- und Ausstellungsprogramm der Cooperativa di Via Beato Angelico auf Künstlerinnen der Vergangenheit und Gegenwart, ohne diese Dimensionen in ein lineares Verhältnis zueinander zu setzen. Das Modell historischer Progressivität, anders gesagt: die Vorstellung einer Abfolge von innovativen Zäsuren, eingefasst in ein vermeintlich einheitliches, zukunftsgerichtetes Kontinuum der Kunstgeschichte, blieb dabei unberücksichtigt.
So reproduzierten die Mitglieder nicht nur die Struktur eines feministischen Kollektivs,29 sondern orientierten sich bei ihrem Umgang mit Künstlerinnen der Gegenwart und der Vergangenheit wenngleich unausgesprochen an separatistischen Zeitkonzepten. Bereits vor der Begründung von Rivolta femminile hatte die Kunstkritikerin Lonzi im Format der Text-Foto-Collage ihr Unbehagen mit Entwicklungsschemata der Kunstgeschichte zum Ausdruck gebracht.30 Für ihr Buch Autoritratto, 1969, nahm Lonzi die Aufzeichnungen von Gesprächen, die sie mit prominenten Künstler*innen aus verschiedenen Generationen und Bewegungen geführt hatte, auseinander, um dann Auszüge der Transkriptionen zu einem fiktiven, vielstimmigen und sprunghaften Dialog zu vermischen und neu zusammenzusetzen. Diese nichtlineare Bestandaufnahme des künstlerischen Beziehungsgeflechts der Kunstkritikerin war mit zahlreichen öffentlichen und privaten Fotografien durchsetzt. Anschließend machten Lonzi, Accardi und Banotti im ersten Manifest von Rivolta femminile das Verhältnis zwischen Frau und Geschichte explizit zum Thema. Aus der Perspektive der sexuellen Differenz bewerteten sie die Struktur der Gesellschaft als eine eingeschlechtliche: nur der Mann existiere als Subjekt, die Frau sei (noch) keine Subjektposition. Frauen, so hieß es in dem 1970 veröffentlichten Text, müssten die Wiederentdeckung ihrer historischen Präsenz selbst in die Hand nehmen. Dazu könnten sie jedoch nicht auf die Spuren zurückgreifen, mit denen Männer ihr eigenes Fortbestehen in der Zeit garantierten.31 Nur ausgehend von ihrer Selbstbewusstwerdung als „unerwartetes Subjekt“, so das Manifest, könnten Frauen mit dem Kontinuum der männlichen Geschichte brechen.32 Weitere der von Lonzi verfassten und von Rivolta femminile veröffentlichten Texte verdeutlichten weiterhin die Notwendigkeit, zeitliche Konzepte zu hinterfragen, die unausweichlich mit einer jahrtausendealten männlichen Vorherrschaft verstrickt zu sein schienen. In der hegelianisch-marxistischen Teleologie, die insbesondere die Protestkulturen von 1968 prägte, wurde eine patriarchale Dynamik am Werk gesehen, die Frauen von vornhinein ausschließen würde. Eine dialektisch verstandene Vergangenheit wäre demzufolge männlich bestimmt und könnte dem weiblichen Geschlecht keine Zukunftsgrundlage bieten. In der programmatischen Kampfschrift Sputiamo su Hegel33 schrieb Lonzi hierzu:
Die Phänomenologie des Geistes ist eine Phänomenologie des patriarchalen Geistes, der Inkarnation der monotheistischen Gottheit in der Zeit. Die Frau erscheint dort als ein Bild, dessen Bedeutungsebene eine Annahme der anderen ist. Die Geschichte ist das Ergebnis patriarchalischen Handelns.34
Darauf begründet die Autorin eine radikale Ablehnung von progressivistischen Visionen:
Wir sagen dem Menschen, dem Genie, dem vernunftbegabten Visionär, dass das Schicksal der Welt nicht darin besteht, immer so vorwärts zu gehen, wie es seine Lust an der Überwindung vorgibt. Das unvorhergesehene Schicksal der Welt liegt darin, den Weg, den sie zu gehen hat, mit der Frau als Subjekt wieder aufzunehmen.35
Implizit bezogen die kunsthistoriografischen Operationen der Kooperative, die sich in der scheinbar kontingenten Archivierungs- und Programmgestaltung vollzogen, von diesen Denkansätzen ihre Prägnanz und Legitimität.
4 Anachrone Resonanzen
Aus Anlass der Eröffnungsausstellung der Genossenschaft am 8. April 197636 installierten die Organisatorinnen in dem spärlich eingerichteten gedrungenen Galerieraum im historischen Zentrum Roms ein großformatiges Ölgemälde auf einer Staffelei und legten ein Begleitblatt aus. Der Textapparat enthielt vier dicht bedruckte Seiten mit bio- und bibliografischen Verweisen zu der Künstlerin Artemisia Gentileschi und enthüllte auf diese Weise die Urheberschaft des gezeigten Gemäldes (fig. 2).
Erstaunlicherweise wurden bei der Eröffnungsausstellung also keine zeitgenössischen Werke der Mitglieder des Kollektivs gezeigt, sondern eine barocke Position aus dem 17. Jahrhundert. Diese spektakuläre Einweihung formulierte einen offensichtlichen Anspruch auf institutionelle Dezentralisierung. Doch der expositorische Sprung ins 17. Jahrhundert war offensichtlich weder konservatorisch noch euchronistisch motiviert. Anstatt ein Eintauchen in die nunmehr abgeschlossene Entstehungszeit des Gemäldes zu befördern, war das Bild wie aus einer Museumsausstellung herausgerissen. Ohne rahmende oder Distanz schaffende Ausstellungselemente – Sockel, Trennseile, Vitrinen oder Vorhänge – brachte die als Inszenierungsvorrichtung dienende Staffelei das Gemälde gleichsam in einen unvollendeten Prozess des Werdens. Die fotografische Dokumentation der Eröffnung zeigt, dass sich die lebensgroße, affektintensivierende Darstellung der Göttin der Morgenröte, die mit gebieterischer Geste die Nacht zurückdrängt und einen neuen Tag einleitet, qua Display buchstäblich unter die versammelte Menge mischte (fig. 3).37 Zwar lässt sich das doppelte Merkmal der Historizität und Aktualität prinzipiell jedem Kunstwerk der Vergangenheit zuschreiben, dem im Hier und Jetzt begegnet wird. Doch die Präsentationsmodi von Gentileschis Gemälde im Raum der engagierten Kooperative betonten die zeitgenössische Dimension der mythologischen, astronomisch eingebetteter Denkfigur Aurora und ihrer Autorin.
Motiviert war diese anachrone Re-Semantisierung vor allem durch Gentileschis außerordentliche Professionalität – ihr Ruhm übertraf schließlich den ihres Vaters Orazio – in Verbindung mit der ausschließlichen und bisweilen unkonventionellen Fokussierung auf weiblichen Figuren, oft mit selbstporträtähnlichen Zügen, in ihrem malerischen Oeuvre. Ein von dem Vater der Künstlerin eingeleiteter Prozess, der den Maler Agostino Tassi wegen sexueller Nötigung von Artemisia Gentileschi vor Gericht brachte, spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle.38 Dieses Ereignis fand in der Ausstellung der Cooperativa di Via Beato Angelico explizit Erwähnung. Das Flugblatt resümierte den Werdegang der Künstlerin im männerdominierten Kunstfeld des 17. Jahrhunderts und stellte ihre Gemälde zu einem Werkverzeichnis zusammen.
Im Rahmen der Eröffnungsausstellung wurde die besondere Resonanz von Gentileschis Werk sofort als Effekt der neuen Frauenbewegung aufgefasst. Auch wenn die inzwischen konventionell erscheinende Mobilisierung Gentileschis für eine feministische Kunstgeschichte erst später ansetzen sollte,39 zeigt die Rezeption der römischen Einweihungsausstellung, dass der Bezug auf die Erfahrungswelt der Frauen dem Blick auf Gentileschis Werk und ihre Persona in den 1970er Jahren bereits fest eingeschrieben war. Zuvor hatte die Schriftstellerin Anna Banti (Lucia Lopresti Longhi) unter dem Titel Artemisia 1947 einen viel gelesenen Roman über Gentileschis Biografie verfasst.40 Ein weiteres Beispiel in diesem Kontext war die Artemisia Gallery in Chicago, die 1973 von einem aktivistischen Kollektiv gegründet wurde. Von Vittorio Rubiu, der in dem Corriere della Sera die Entscheidung der Kooperative, ein Bild von Gentileschi auszustellen, als „feinfühligen Gedanken“ auffasste,41 über Anty Pansera, die in L’Ambrosiano ausgehend von Gentileschis Position über die mangelnde Eigenständigkeit und Anerkennung der Frau in diesem Berufsbereich reflektierte42 bis hin zu Maurizio Fagiolo, der in Il Messaggero die Neuveröffentlichung eines „selbstredend emblematischen“ Werks anpries, um mit Gentileschi einen „Mythos der schwierigen Stellung der Künstlerin“ in den Vordergrund zu bringen,43 traf das anachron eingesetzte Werk auf feministisch informierte Interpret*innen. In der Eröffnungsausstellung vollzog sich also ein expliziter Einsatz Gentileschis und ihres Gemäldes für ein zeitgenössisches Unterfangen: programmatisch wurde die barocke Künstlerin ausgehend von gegenwärtigen feministischen Anliegen neu gedeutet.
5. Privatgenealogie
Dass die Despektierung linearer Abfolgen und historistischer Kontextualisierung nicht zufällig war, sondern als gezielte Abweichung von einem vorgegebenen System – einer auf konkurrierenden Künstlern basierten Entwicklungsvision der Kunstgeschichte – bewertet werden kann, zeigt auch die Einzelausstellung des prominentesten Mitglieds der Kooperative, Carla Accardi. Als Accardi am 25. Mai 1976 im Raum der Kooperative ihre Einzelausstellung mit dem Titel Origine (Ursprung) eröffnete,44 konnte sie bereits auf einen beeindruckenden Werdegang zurückblicken, der sich über drei Jahrzehnte erstreckte. 1947 hatte sie als einzige Künstlerin Forma 1, Italiens bedeutendste Gruppe abstrakter Maler und Bildhauer der Nachkriegszeit – die sich unter gleichzeitiger Berufung auf Formalismus und Marxismus weigerten, das Diktat des sozialistischen Realismus zu akzeptieren – mitinitiiert. Danach trug Accardis unermüdliche Auseinandersetzung mit der Restspezifität des malerischen Mediums entscheidend zu den Tendenzen des Informel und der Metamalerei bei. Ihre generell der Abstraktion verpflichtete Praxis wurde zumeist formalistisch gedeutet.45 Doch beim Betreten des Ausstellungsraumes in der Via Beato Angelico hing nun überraschenderweise in einer Nische ein Fotoporträt einer jungen Frau aus dem 19. Jahrhundert in einem gleichermaßen historischen Holzrahmen. Im hinteren Teil der Galerie, in einem schmalen Durchgang, erstreckte sich eine transparente Wandverkleidung, die in vertikale gleichmäßige Plastikstreifen gegliedert war (fig. 4). Die rechte Wandverkleidung war zwar formal identisch mit ihrem Gegenstück, wies aber in den Zwischenräumen zwischen den Streifen neunzehn Fotografien auf, die eine junge Frau in den 1910-20 Jahren zeigten. In dieser multimedialen Installation stach die offensichtliche Verwendung von gefundenen Fotografien als einzigartig in Accardis ansonsten malerischem Oeuvre deutlich hervor.46
Eine von der Künstlerin verfasste Notiz erlaubt es uns, die Fotografien als Privatporträts ihrer Urgroßmutter beziehungsweise ihrer Mutter zu identifizieren.47 Darin wurden die Frauen entweder alleine oder als Ehefrau und Mutter in ihrer sozialen Rolle charakterisiert. Weibliche Bezugspersonen – Mütter oder Großmütter – bildeten ein wichtiges Thema bei feministischen Versammlungen. Eine gemeinsame Analyse privater Familienfotos war Teil kollektiver Praktiken der Selbstbewusstwerdung. Es scheint also plausibel, dass Accardi die Fotografien, die in der privatgenealogischen Installation Origine zu sehen waren, zuvor für einen gemeinsamen Austausch aus Anlass der regelmäßigen Treffen von Rivolta Femminile ausgewählt hatte.
Überlieferte Pressestimmen berichten über weitere Arbeiten Accardis in und außerhalb des Galerieraums: Draußen stand vorübergehend eines ihrer fragilen, farbenfrohen zeltförmigen Environments mit dem Titel Tenda,48 oder vermutlich ein kleinerer Prototyp. In dem Innenraum waren noch weitere Werke zu sehen, Accardis neuere Trasparenti: unbemalte Plastikstreifen, die über Holzrahmen gespannt waren und minimalistische Reliefs bildeten.49 So hatte sich Accardi offenbar dazu entschieden, in diesem fern von neutralen Ausstellungskontext auch ältere Arbeiten zusammen mit der für sie außergewöhnlichen Fotoinstallation zu zeigen. Die räumliche Inbezugsetzung der verschiedenen Exponate suggerierte eine inhaltliche Neuaufladung ihrer vorangehenden Werke. Die formalen und medialen Überschneidungen zwischen der Installation und den Werken Tenda und Trasparenti mussten den Eindruck erwecken, dass die an einer Stelle offengelegte Auseinandersetzung mit Geschlechteraspekten Accardis künstlerische Praxis insgesamt informierte, dass sich also ihre Kunst zusätzlich zu einer formalistischen Lesart – oder auch ganz anders – begründen ließ. Das matrilineare Ursprungsszenario bot also zugleich einen Historisierungszusammenhang für Accardis Werk, und zwar jenseits des damals gängigen kunsthistorischen Narrativs einer Entgrenzung und Selbstreflexivität des Mediums Malerei.
Wie zentral für Accardi die Frage der Selbsthistorisierung war, lässt sich an dem Vorbehalt messen, den sie der Deutungshoheit der Kunstkritik entgegenbrachte. Schon vor ihrer feministischen Sozialisierung hatte sich die Künstlerin 1963 im Zuge eines von Giulio Carlo Argan geleiteten Kunstkritikertreffens in Verucchio gegen kunstkritische Fremdzuschreibungen geäußert. Scharf kritisierte sie in einem in der Zeitung der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) Avanti! veröffentlichten Artikel die „Aggression der Katalogisierung“, die „Proklamationen neuer Schulen“, und die „aufeinanderfolgend geprägten und einer noch heißen Kunstmaterie aufgedrückten Formeln“.50 Diese Abneigung bekam in den darauffolgenden Jahren ein feministisches Fundament. Im Gespräch mit Lonzi thematisierte Accardi Mitte der 1960er Jahre einen persönlichen Wendepunkt, ihre Bewusstwerdung um die Geschlechterordnung im Kunstfeld, und machte diesen Einschnitt bezeichnenderweise an der Arbeit Tenda fest: Das formal reduzierte, transparente Werk wollte Accardi zufolge „nicht mehr als das sein (...), was es ist“:51 Aufbau und Bemalung machten die zur Werkrealisierung durchgeführten Handlungen und die dabei verstrichene, gelebte Zeit anschaulich und nachvollziehbar. So brachte Tenda aus der Sicht der Künstlerin eine grundlegende Haltungsänderung zum Ausdruck, in die sie Lonzi einweihte: eine Abwendung von der Mystifizierungs- und Rivalitätslogik eines „seit jeher (...) von Männern dominierte[n] Gebiet[s] der Kreativität“,52 und eine Hinwendung zu einer missachteten Geschichte „weibliche[r] Erscheinungsformen“53, einer Phänomenologie „der Personen in der zweiten Reihe“.54 Eine ähnliche Deutung, jedoch etwas buchstäblicher an Motivik und Techniken ausgerichtet, nahm kurz vor der Eröffnung von Accardis Einzelausstellung Origine die feministische Kunstkritikerin Anne Marie Sauzeau Boetti vor. Anhand der Werke Tenda und Trasparenti, betonte Sauzeau Boetti in einem in der Zeitschrift Data veröffentlichten Artikel das Potenzial von Accardis Kunst, sowohl im Rahmen einer „Geschichte der Kunst“55 als auch im Rahmen einer „Geschichte des weiblichen Fortbestehens“56 in der Zeit, Bedeutung zu gewinnen. Triplice tenda und Trasparenti, die formal dem Environment, der Metamalerei oder dem Konzeptualismus zuzuordnen wären, galten nun als Beispiele für eine, aus Sauzeau Boettis Sicht, „weibliche Symbolik“. Während das Zelt durch Farbe, Form und Format weibliches Begehren und ein Gefühl körperlicher Eingebundenheit materialisiere, sei die minimalistische Verflechtung zeitgenössischer Kunststoffe in Trasparenti einer textilen Technik angelehnt und aktualisiere damit eine Tradition weiblich markierten Handwerks.57
Vor der Folie dieser Ansätze einer feministischen Historisierung gewinnt Accardis Entscheidung, im Galerieraum der Frauenkooperative Tenda und Trasparenti mit der ortspezifischen Fotoinstallation unter dem Ursprungsbegriff zusammenzubringen, eine programmatische Färbung. Anstatt im linearen Modus der Retrospektive Werke aneinander zu reihen, die Accardi „ganz nach der Art des Mannes“,58 um ihre Worte aufzugreifen, als Beitrag zur offiziellen Kunstgeschichte der Nachkriegskunst entworfen hatte, sollte die Werkauswahl für eine differente, entmystifizierte Kreativitätsvorstellung einstehen, deren kunsthistorische Anfänge nicht linear rückverfolgt werden konnten, sondern erst genealogisch konstruiert werden mussten. In der Ausstellung Origine destabilisierte der betont inszenatorische Kontrast zwischen zeitgenössischen und historischen Dimensionen, der durch die Materialität des Kunststoffes auf der einen und der analogen Fotografie auf der anderen Seite hergestellt wurde, auch materiell und medial Vorstellungen einer linearen Entwicklung.
6. Ausblick
Die nichtlineare, gegenwartsbezogene oder privatgenealogische Vergangenheitsintegration im Archivierungs- und Ausstellungsprogramm der Cooperativa di Via Beato Angelico ereignete sich im Einklang mit dem Emporkommen feministischer separatistischer Zeitkonzepte in den 1970er Jahren. Weder bestärkte die Kooperative bestehende Kanons und Fortschrittsnarrative – wie im Fall eingangs erwähnter prominenter Beispiele von Grasskamp, Althsuler, oder Gardner und Green – noch beanspruchte sie – wie bei Künstlerinnenausstellungen von Vergine oder Loda – lediglich eine moderate Erweiterung des kunstgeschichtlichen Kanons. Anders als eine Kunstgeschichte als Geschichte ‚großer Männer‘ musste eine eigenständige Geschichte der Künstlerinnen jedoch erst entworfen werden. Ausgehend von transhistorischen Beziehungskonstellationen zwischen Frauen über konventionelle Grenzziehungen hinweg widmete sich die Kooperative diesem Projekt von der Gegenwart aus, ohne es explizit als solches zu theoretisieren, und ohne es im Zeitraum der zwei Jahre ihres Bestehens umfassend entfalten zu können.
Konstitutiv für die besprochenen Künstlerinnenausstellungen war folglich eine Auseinandersetzung mit den Exklusionsdynamiken der Kunstgeschichte, die zugleich Aufschluss gibt über das Verhältnis einer gesellschaftlichen Gruppe zu ihrer Zuschreibung als Frau und die damit einhergehenden Einschränkungen im römischen Kontext der 1970er Jahre. Die essentialisierenden und polarisierenden Aspekte der damaligen Geschlechterdebatte gelten spätestens seit den 1990er Jahren, als relationale Ansätze das Geschlecht als soziales Konstrukt hervorstellten und Annahmen einer natürlich gegebenen Binarität von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ entkräfteten – und dekoloniale und intersektionale Perspektiven homogenisierenden Vorstellungen der ‚Frau‘ entgegenwirkten – als historisch.59 Anstatt das Genre der Künstlerinnenausstellung als Forschungsgegenstand zu verwerfen können die damit verbundenen, noch weitestgehend unerforschten, künstlerischen und kuratorischen Praktiken jedoch unter dem Aspekt einer nichtlinearen Kunsthistoriografie im Rahmen einer Kunstgeschichte als Ausstellunggeschichte neu befragt werden.
Dass sich historiografische oder metahistorische Impulse auch abseits von schriftbasierten Techniken verzeichnen lassen, hat die Kunstgeschichte bereits in Bezug auf künstlerische Perspektiven der 1990er und 2000er Jahre, die sich der Vergangenheit widmeten, nachgewiesen. In Anlehnung an die Ästhetik des Archivs, der Sammlung oder des Period Rooms oder aber in der performativen Gattung des Reenactments, des Interviews oder des Found Footage setzten sich Künstler*innen mit Quellen, Zeugenschaft und Geschichtsschreibung auseinander.60 Im Dialog mit poststrukturalistischen und postkolonialen Ansätzen galt es, etablierte historische Narrative zu durchleuchten und zu hinterfragen. Insgesamt bezogen der Archival Impulse,61 der Historiographical Turn62 oder die „Kunstgeschichtlichkeit“63 der Kunst ihre Virulenz aus den Bewegungen der Dekolonialisierung, Transkulturalisierung und Entpatriarchalisierung, die ausgehend von 1989 die westliche Geschichtsschreibung und ihren universellen Anspruch entkräfteten.64 Hierarchien und Ausschlüsse wurden zunehmend kritisch thematisiert; ein einheitliches, progressivistisches Geschichtsbild als unhaltbar entlarvt. Jenseits von additiven oder relativistischen Ansätzen haben Künstler*innen und Akteur*innen an den Rändern dominanter Kanons ein Bewusstsein um ihre eigene Historizität und damit strukturelle Veränderungen eingefordert.
Untersuchungen künstlerischer Historiografie und ihrer zeithistorischen Plausibilisierung regen dazu an, auch im Ausstellungsbereich zu einem erweiterten Verständnis von Historiografie zu gelangen. Die bisherigen Beiträge zu dieser Problemstellung, die ich anhand von Grasskamp, Altshuler, Gardner und Green exemplarisch aufgezeigt habe, belassen eine universalistische kunsthistorische Prämisse unhinterfragt. Ausgehend von Fallstudien wie der Cooperativa di Via Beato Angelico lässt sich die Frage danach, welche Möglichkeiten Ausstellungen bieten, in die Produktion von Kunstgeschichte einzugreifen, erweitern. Im expositorischen Veröffentlichungsformat können nicht nur bestimmte kunsthistorische Erzählungen, sondern auch die dahinterliegenden Prämissen als arbiträr freigelegt und unterwandert werden.